Tierwohl-Tiergesundheit-Tierschutz-Tiergerechtheit

Vor und auf der Grünen Woche hat es in Berlin diverse Veranstaltungen gegeben, die sich mit dem Tierwohl und sog. Tierwohllabeln beschäftigt haben. NGO’s, politische Parteien, das BMEL und veterinärmedizinische Verbände streiten für das Tierwohl und den richtigen Weg sowohl für die Tiere, als auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Für Tierärztinnen und Tierärzte stellen das Tierwohl und der gesundheitliche Verbraucherschutz eine Einheit dar. Dabei steht zunächst die Tiergesundheit im Vordergrund. Tierwohl ist allerdings mehr als Tiergesundheit. Kriterien[1] für das Wohlbefinden sind ein hohes Maß an biologischer Funktionalität (Gesundheit, Fruchtbarkeit, Wachstum, Verhalten, Thermoregulation), die Freiheit von Leiden, Schäden, Schmerz und Angst (Verhaltensstörungen, Technopathien, Belastungsphysiologische Indikatoren) und positive Erfahrungen wie Komfort und Zufriedenheit (Liegeverhalten, Spielverhalten, Ausdrucksverhalten)(von Borell, 2013). Aber ohne Tiergesundheit ist das Wohl(befinden) der Tiere nicht sicherzustellen. Insofern richtet die Tierärzteschaft ihren Fokus verstärkt auf die Tiergesundheit. Seit langer Zeit werden Daten zur Tiergesundheit an Schlachthöfen erhoben. Methoden die Tiergesundheit in Betrieben zu messen gibt es seit „Ewigkeiten“, wie Prof. Blaha (Vorsitzender der TVT) immer wieder betont, zuletzt auf der Pressekonferenz am 18.01.2017 im Verbund mit foodwatch (Abb.1). Zur Beurteilung eines Betriebes können z.B. 10 relevante tierartspezifische Kriterien, die Schlachthofbefunde und Betriebsdaten (auch klinische) umfassen, festgelegt und systematisch in jedem Betrieb ausnahmslos erhoben werden. Die zu beurteilenden Indikatoren sollen gesetzlich definiert und vorgeschrieben werden, um einen Vergleich sicherzustellen. Die Daten werden zentral erfasst, ausgewertet und an den Betrieb zurückgespiegelt. Mit der Festlegung der Kriterien wird auch das Ziel gesteckt bei wie vielen Tieren klinische Beeinträchtigungen im Betrieb und Schäden des Schlachtkörpers zu einer Intervention führen (zu Tierschutzindikatoren siehe auch Hirt et al. 2016, § 11 Abs. 8 TierSchG, Rn. 46). Betriebe sollen sich untereinander vergleichen können (Benchmarking). Die guten Betriebe sollen Anreiz für „Problembetriebe“ sein. Bestandsbetreuende Tierärztinnen und Tierärzte unterstützen ihre Betriebe bei der Erfassung der Indikatoren und Bewertung der Schlachthofbefunde. Sie beraten bei der Verbesserung der Haltung und des Managements zur Vermeidung gesundheitlicher Beeinträchtigungen. In diese Richtung geht auch die Bundestierärztekammer (BTK) mit der AG-Bestandsbetreuung. Das betonte der Leiter der AG Dr. Matthias Link gleich auf zwei Veranstaltungen auf der Grünen Woche. Sowohl auf der Pressekonferenz der BTK (Abb. 2), als auch auf dem Empfang des Bundesverbandes der praktizierenden Tierärzte (bpt) wurde die tierärztliche Bestandsbetreuung als wesentlicher Faktor für Tiergesundheit betont. Wesentliche Schritte in Richtung einer zukunftsfähigen Nutztierhaltung sind nach meiner persönlichen Meinung sehr gut in der gemeinsamen Stellungnahme der TVT und foodwatch zum gesundheitlichen Tierschutz zusammengefasst. https://www.foodwatch.org/uploads/media/2017-01-18_Stellungnahme-Blaha-Wolfschmidt_01.pdf

Über die systematische Erfassung der Tiergesundheit kommen wir zum Wohlbefinden der Tiere, indem wir über die Gesundheitskriterien hinaus Parameter des Verhaltens bewerten. Es steht dabei außer Frage, dass umweltbezogene Einflussfaktoren (Haltungsbedingungen, Fütterung, Mensch-Tier-Beziehung. Management) in die Bewertung einbezogen und ggf. verbessert werden müssen.

Tierschutzlabel mögen ein Weg sein den Verbraucherinnen und Verbrauchern mehr Transparenz über Haltungsbedingungen zu bieten, aber solange nicht alle Tierhaltungen davon profitieren und die Kriterien, die zur Vergabe der Label führen nicht festgelegt, verbindlich und einheitlich sind, entsteht mehr Verwirrung als Aufklärung.

Wir Tierärztinnen und Tierärzte haben uns mit unserem Ethik-Kodex verpflichtet in besonderer Weise zum Schutz und zur Sicherung der Gesundheit und des Wohlbefindens der Tiere beizutragen. Wir vertreten die Interessen der Tiere gegenüber der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, zeigen Missstände auf und helfen sie zu beseitigen.

Der Deutsche Tierschutztag 2018 in Dresden wäre eine Gelegenheit unsere Forderungen zur einheitlichen und verbindlichen Erfassung und Bewertung von Indikatoren zur Beurteilung von Tiergesundheit und Tierwohl (Tiergerechtheit) erneut zu formulieren und den politischen Akteuren zuzuleiten. Die vorhandenen Ansätze, wie sie z.B. auf dem KTBL Fachgespräch: Indikatoren zur Bewertung der Tiergerechtheit – Einsatzzweck „betriebliche Eigenkontrolle“ vom 7./8.05.2014 in Kassel vorgestellt wurden, könnten dabei als Anregung dienen. https://www.ktbl.de/inhalte/service/tagungsergebnisse/tiergerechtheit/.

[1] https://www.landwirtschaft.sachsen.de/landwirtschaft/download/Tierwohl_GroitzschProfvonBorell.pdf

Dr. Heidemarie Ratsch



Abb. 1: Sylvia Ahrens-Urbanek (foodwatch Presssprecherin); Prof. Dr. Thomas Blaha (TVT); Dr. Matthias Wolfschmidt (foodwatch)

Abb. 2: Pressekonferenz BTK: Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel (BfR); Dr. Holger Vogel (Bbt); Prof. Dr. Michael Bülte (Uni-Gießen); Dr. Uwe Tiedemann (BTK); Dr. Sigfried Moder (bpt); Prof. Dr. Stefan Schwarz FU-Berlin); Dr. Matthias Link (AG-Bestandsbetreuung-BTK); Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Kramer (Gießen, DVG)

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