Veranstaltung § 11b TierSchG Defektzuchten - Kleine Heimtiere und Vögel

Im Idealfall beginnt die fachgerechte Kommunikation und Aufklärung noch bevor das Tier überhaupt angeschafft wird. Vielen Tierbesitzer:innen ist nicht klar, dass Mäuse mit stark gewelltem oder langem Deckhaar häufig an einer Immunschwäche leiden, Ratten ohne Schwanz eine extrem eingeschränkte Koordination haben oder nackte Hamster nachts durch die fehlenden Tasthaare orientierungslos sind. Doch wie vermittelt man diese Problematik Tierbesitzer:innen, die bereits ein Tier haben, das unter ebensolchen züchtungsbedingten Erkrankungen oder Einschränkungen leidet? Wie kommuniziert man bestenfalls so, dass das nächste Tier nicht nur nach Fellfarbe, sondern vor allem danach ausgewählt wird, ob es gesund ist? Dazu haben wir ausgewählte Expert:innen eingeladen (s. Abb. 1 Vorseite).

PD Dr. Kerstin Müller schilderte die genetischen Defekte bei Kaninchen und Frettchen. Dabei machte sie deutlich, dass es für Kaninchen zwar entsprechend des Gutachtens des BMEL von 1999 eine Auflistung von Merkmalen gäbe, die den Tatbestand der Qualzucht erfüllen, die wissenschaftliche Basis jedoch gering wäre. Ihr Fazit ist, dass Defektzuchten bei Kaninchen und Frettchen im Vergleich mit anderen Tierarten in Deutschland momentan eine untergeordnete Rolle spielen würden. PD Dr. Thomas Göbel referierte zu Defektzuchten bei kleinen Nagern. Meerschweinchen mit besonders glänzendem Fell (Satin-Meerschweinchen) leiden an der sog. Satin-Krankheit, einem als Osteodystrophie bezeichneten Leiden der Knochen und Gelenke, die genetische vererbt wird und unheilbar ist. Zuviel, zu wenig oder gekräuseltes Fell; gescheckte Schimmel oder Dalmatiner, diese Fellvarianten sind häufig mit genetischen Defekten verbunden, wie Immunschwäche, fehlenden Tasthaaren und Wimpern oder schweren Schäden (blind, zahnlos, Organschäden). Auch „Zuchtspielereien“ bei Ratten, Mäusen und Hamstern führen zu genetischen Defekten, die nicht unbedingt offensichtlich sind. Sie machen die Tiere anfällig für bestimmte Erkrankungen aufgrund einer Immunschwäche, sie entwickeln gehäuft Tumore oder leiden unter Herz-Kreislaufproblemen. Dr. Sonja Kling erläuterte die Problematik der Defektzucht bei Vögeln und Geflügel. Kanarienvögel werden so gezüchtet, dass sie eine Körperhaltung wie ein 7 haben und nicht mehr fliegen können. Federhauben bei allen Vogelarten sind mit Hirnschäden verbunden und führen je nach Ausprägung zu Sichtbehinderungen und Augenreizungen. Veränderungen des Federkleides in Länge und Struktur führen zu Flugunfähigkeit, Sichtbehinderung, vermehrt Federbalgzysten und geringerer Lebenserwartung. Bei Tauben sind bereits im BMEL Gutachten zu § 11b Tierschutzgesetz zahlreiche Zuchtvarianten aufgeführt, die zu Schmerzen, Leiden oder Schäden bei den betroffenen Tieren führen. Beispiele sind sog. Purzler oder Roller, die sich überschlagen und dabei auch zu Tode kommen können. Zu kurze Schnäbel, Federhauben, Schnabelwarzen, übermäßige Fußbefiederung und vieles mehr wird dort gemaßregelt. Auch das Geflügel ist nicht vor Extremzuchten sicher. Unphysiologische Körperhaltungen, Federhauben, Lockenbildung, übermäßiges Gefieder an den Füßen, Verkürzung der Läufe sind nur einige der auffälligsten Merkmale. Prof. Dr. Mahtab Bahramsoltani widmete sich schließlich dem Bereich der Kommunikation zwischen Tierbesitzer:in und Tierärzt:in. Sie betonte die Notwendigkeit die Gesprächspartner*innen an der richtigen Stelle abzuholen. Welches Bewusstsein hat mein Gegenüber für die Problematik der Qualzucht? Gibt es schon eine gewisse Einsicht darüber, dass das Tier leidet? Oder verstecken sich die Tierhalter:innen in der Community Geleichgesinnter, die es alle völlig ok finden, dass ihre Tiere nicht richtig laufen und fressen oder Fell oder Federn nicht selbst pflegen können. In Abhängigkeit dieses Wissens, ist es möglich die richtige Strategie zu entwickeln, um für die Schmerzen, Leiden und Schäden zu sensibilisieren, die dem Tier durch die Zuchtmerkmale zugefügt werden. Moderiert wurde die Fortbildung von Dr. Heidemarie Ratsch.

 

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