Brachyzephalie (Kurzköpfigkeit)

(Susanne Schneider)

Wenn man Abbildungen von Mops-Hunden und Bulldoggen von vor 100 Jahren anschaut, haben diese Tiere eine richtig schöne Nase. Der Mops galt im vorletzten Jahrhundert sogar als „mopsfidel“, also athletisch und belastungsfähig. Die Züchtung brachyzephaler Rassen ist erst in den letzten 60-80 Jahren intensiv betrieben worden und folgt der Herstellung eines menschengewollten lebenslangen "Kindchenschemas" bei diesen Tieren. Die Betrachtung der typischen Schlüsselreize löst beim Menschen eine neuronale Aktivität im Nucleus accumbens aus - einer Hirnregion, die als „Lust- bzw. Belohnungszentrum“ bekannt ist.

Kurzköpfige Hunde haben eine Veranlagung für Erkrankungen der oberen Atemwege. Die Veränderungen werden unter dem Begriff „Brachyzephales Atemnot-Syndrom“ (BAS) zusammengefasst:

  1. Zu enge Nasenlöcher (stenotische Nares)
  2. Abnormal gestaltete Nasenmuscheln
  3. Zu langes Gaumensegel
  4. Zu kleiner Kehlkopf und zu geringer Durchmesser der Luftröhre
  5. Kehlkopfkollaps

Diese Merkmale können einzeln oder in Kombination auftreten und beeinträchtigen die Ventilationsfunktion (Luftaustausch), was zu unterschiedlich lauter, schnarchender Atmung, reduzierter Belastbarkeit, Überhitzung und – potenziert bei hohen Umgebungstemperaturen - zu hochgradiger Atemnot, Zyanose und zum Kollaps bis hin zu schweren Synkopen (Bewußtlosigkeit) mit Todesfolge führen kann. Viele Tiere haben sogar bereits beim Fressen Probleme, da sie während der Futteraufnahme nicht ausreichend Luft holen können.

Durch die Behinderung der Luftpassage in den oberen Atemwegen kommt es zu einem aktiven Ansaugen der Atemluft, um die Lungen mit Luft füllen zu können. Dies führt zur ständigen Reizung der Schleimhaut in der Nasenhöhle, der Mundhöhle und des Kehlkopfes. Mit Andauern des Reizes wird das Gewebe dicker und somit der effektive Atemweg zusätzlich immer enger. Es wird auch vermutet, dass der vermehrte Unterdruck den Kehlkopfkollaps fördert. Durch das vermehrte Ansaugen entsteht auch ein größerer Unterdruck im Brustkorb - hierdurch können Magenanteile in den Brustkorb gesaugt werden (Hiatushernie). Die chronische Reizung der so komprimierten Schleimhaut von Speiseröhre und Magen äußert sich in übermäßiger Grasaufnahme, Brechreiz und Erbrechen. Die Lungenkapazität beim Einatmen wird durch die Raumforderung zusätzlich vermindert. Unbehandelt kann es wegen Kompression und Sauerstoffmangel zur schweren Überbelastung des rechten Herzens und letztlich zu einer nicht beherrschbaren Einschränkung der Pumpleistung des Herzens mit Todesfolge kommen.

Frühzeitige chirurgische Maßnahmen bei einem BAS sind daher angezeigt (etwa ab dem 4. Lebensmonat). In der klassischen OP werden die Nasenlöcher erweitert und das Gaumensegel gekürzt. Die neueren OP-Methoden im Sinne einer Multi-Level-Chirurgie arbeiten endoskopisch mit einem Laser, wie z.B. die Laser-assistierte Turbinektomie (LATE) in der Nasenhöhle oder der CO2-Laser bei der Kürzung des Gaumensegels oder in einer Laryngoplastik. Die Narkosen können allerdings bei Brachyzephalen oftmals sehr risikoreich sein – nach Möglichkeit sollte eine Intubationsnarkose mit vorheriger Sauerstoffanreicherung und permanenter Überwachung der Vitalwerte vorgenommen werden.

Weitere häufige Probleme bei brachycephalen Rassen:

Zusätzlich zum BAS tritt während der Fortbewegung ein erhöhter Ventilationsbedarf durch die – verglichen mit anderen Hunderassen - höhere Wärmproduktion auf. Die gebogenen Gliedmaßen und der walzenförmige Körper führen beim Laufen zur Außenrotation der Extremitäten und einer horizontalen Schwingung des Rumpfes. Dies ist im Gegensatz zum „schnürenden“ - d.h. alle Beine auf einer mittig unter dem Körper verlaufenden Linie aufsetzenden - Wolf äußerst energieaufwendig. Da der benötigte zusätzliche Sauerstoff durch die dem Körper eines brachycephalen Hundes mögliche Ventilation oftmals nicht aufgenommen werden kann, ist im Folgenden ein Sauerstoffmangel mit nachfolgenden Gewebeschäden möglich. Bei Französischen Bulldoggen wird häufig zudem eine extrem enge Luftröhre (Hypotrachea) beobachtet.

bulldoggeMaulhöhle/Thorax: Die Zunge ist bei vielen Tieren im Verhältnis zur Maulhöhle viel zu groß1, das zu lange und oft extrem verdickte Gaumensegel verursacht oft durch Reizung von Larynx/Pharynx zusätzlich Brechreiz und Erbrechen. Die Knorpel in Kehlkopf und Luftröhre sind besonders beim Mops sehr weich und können früh kollabieren. Zahnfehlstellungen bzw. –ausfall sowie eine Erweiterung der Speiseröhre vor dem Herzen kommen regelmäßig vor.

Orthopädie/Neurologie: Es tritt besonders häufig bei Mops und Französischer Bulldogge ein Bandscheibenvorfall durch veränderte und gestauchte Wirbel (Chondrodysplasie) beim züchterisch gewollten Rassemerkmal des Ringelschwanzes auf. Eine Kniescheibenluxation ist wegen der Rotationsbewegung der gebogenen Gliedmaßen häufig, wie auch das Laufen mit einer Außenrotation der Gliedmaßen über die permanente Fehlbelastung der Gelenke ein hohes Arthrose-Risiko mit sich bringt. Überdies treten bei der Geburt oft deformierte oder nicht vollständig ausgebildete Schädeldecken auf, was ernste Gehirnschäden bzw. einen Hydrocephalus (Wasserkopf) zur Folge haben kann.

Die zugunsten der abgerundeten Kopfform verkürzte Schädelbasis kann bei Brachyzephalen eine Zirkulationsstörung des Hirnwassers zur Folge haben. Neben stauungsbedingter Erweiterung der Hirnkammern mit nachfolgendem Druck auf die Hirnsubstanz kann insbesondere beim Cavalier King Charles Spaniel das Missverhältnis von dem zu großen Gehirn zu einer zu kleinen Schädelhöhle über eine Verlagerung des Gehirns in Richtung Hinterhaupt die akuten neurologischen Symptome einer Chiari-Malformation auslösen.

Durch den breit gezüchteten Kopf bleiben bei Bulldoggen die Welpen gerne mal im Geburtskanal der Hündin stecken. Bei dieser Rasse ist somit eine natürliche Geburt problematisch und oftmals wird hier routinemäßig ein Kaiserschnitt - bei bekanntem hohem Narkoserisiko - durchgeführt. Durch ihren Fehlbiss kann die Hündin die Welpen nicht selber abnabeln und ist daher zwingend auf die Unterstützung des Menschen angewiesen.

king charles spanielDermatologie/Opthalmologie: Allergien, Hautfalten-Problematik (Intertrigo) und Otitiden sind sehr häufig - wie auch die lebenslangen Augenprobleme. Resultierend aus den abgeflachten Augenhöhlen im deformierten Schädel entstehen die „niedlichen Glubschaugen“ mit der ständigen Gefahr von Hornhautverletzungen, Infektionen durch fehlenden Lidschluss und dem ständigen Risiko eines Exophthalmus (herausdrängenden Augapfels).

Zu den brachycephalen Rassen gehören Französische Bulldoggen, Möpse, Englische und Amerikanische Bulldoggen, Boston Terrier, Boxer, Cavalier King Charles Spaniels2, Pekinesen, Lhasa Apsos, Pinscher, Perser Katzen und Scottish Fold Katzen, um nur einige zu nennen.

Prinzipiell verbietet das Tierschutzgesetz genau diese Form der Zucht: In §11b ist festgelegt: "Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten …, wenn damit gerechnet werden muss, dass bei der Nachzucht, … erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten."

Weiterführende Literatur:

Beurteilung von brachyzephalen Hunderassen hinsichtlich Qualzuchtmerkmale am Beispiel des Mops - Merkblatt zum Erkennen von tierschutzrelevanten Merkmalen


Bildnachweis

1 Foto Plange; Englische Bulldogge
2 Foto Plange
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