Behandeln um jeden Preis?

Am 26.11.2011 wurde dieser Frage aus veterinärmedizinischer und philosophischer Sicht in einer Veranstaltung der Tierärztekammer Berlin nachgegangen. Das Seminar wurde organisatorisch von den Berliner Symposien unterstützt. In der Veterinärmedizin haben sich die Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten parallel zur Humanmedizin rasant entwickelt. Die medizinische Versorgung unserer Heimtiere, insbesondere unserer Hunde und Katzen, erfolgt auf einem hohen Niveau. In diesem Zusammenhang stehen die Tierärztinnen und Tierärzte immer wieder vor dem Problem abzuwägen, welche Maßnahmen für das Tier am besten sind. Gibt es eine Möglichkeit das Tier zu heilen oder ihm mindestens ein erträgliches Weiterleben zu gewährleisten? Oder kann die richtige Entscheidung nur die Euthanasie sein? Zusätzlich zu der medizinischen Entscheidung ist die Reaktion der Besitzer zu berücksichtigen. Wollen sie um jeden Preis ihr Tier behandelt wissen, auch wenn die Chancen gering sind, dass dem Tier wirklich geholfen werden kann? Sind sie nur allzu schnell bereit sich von einem „schwierigen“ Patienten zu trennen? Gibt es vielleicht Probleme mit den Kosten, die die Behandlung verursachen würde? Hier die Balance zwischen zu viel und zu wenig zu finden und den richtigen Ton zu treffen ist eine der schwierigsten Aufgaben in der tierärztlichen Praxis.

(ReferentInnen und Organisatorin (Kunzmann, Weich, Fischer, Kohn, Brunnberg)


Anhand von Beispielen aus der tierärztlichen Praxis wurde die Problematik der Behandlung schwerkranker Tiere aufgezeigt. Professor Barbara Kohn hat umfassend die Therapieoptionen bei Tumorerkrankungen erläutert. Dabei wurden therapiebegleitende Maßnahmen wie Schmerztherapie und Ernährung ebenso berücksichtigt wie die Chancen auf Heilung, Langzeitkontrolle oder Verbesserung der Lebensqualität für eine begrenzte Zeit. Aber auch Nebenwirkungen und Kosten der Therapie wurden thematisiert. Professor Leo Brunnberg erläuterte ausführlich die modernen Möglichkeiten der Frakturheilung. Er machte aber auch deutlich, dass neue Therapieprotokolle mit exponentiellen Kostensteigerungen verbunden sein können, die gewonnene Lebenszeit dagegen eher nur linear zunimmt.


gespanntes Publikum


Aus philosophischer Sicht wurde darüber hinaus unser Verhältnis zu unseren Heimtieren beleuchtet und die Problematik der richtigen Entscheidung diskutiert. Kerstin Weich führte als Philosophin und Tierärztin in die Problematik ein. Wir wollen unseren Haustieren Schmerz ersparen. Dabei hat die medizinische Erfassung von Schmerz, auch in Bezug auf die Euthanasie, ihre Grenzen. Das Maß an Fürsorge, das als Norm angesetzt wird, orientiert sich nicht nur an medizinischem Fortschritt und Ökonomie. Die moralische Aufgabe besteht darin, Verantwortung für den eigenen Schmerz, das Mitleid, welches uns zum Handeln zwingt, zu übernehmen. Anhand von zwei Beispielen aus der tierärztlichen Praxis wurde danach die Problematik der Versorgung schwerkranker Tiere behandelt. Professor Peter Kunzmann griff aus philosophischer Sicht die widersprüchlichen Argumente für oder gegen Behandlung oder Euthanasie in provozierender Weise auf. Er betonte, dass er keinen „Bewertomaten“ liefern kann, der am Ende der Veranstaltung alle von ihrer Entscheidungsqual entbinden würde. Die Fragen, ob das Leben dem Tod stets vorzuziehen sei oder wie sich ein „schmerzfreies“ Leben zu einem „guten“ Leben verhält, können nicht so eben in einem Vortrag abgehandelt werden. Entscheidend bleibt unaufhebbar der Einzelfall, sowohl bezüglich des Tieres (Zustand, Prognose), als auch bezüglich der Tierhalters (Persönlichkeit, Belastbarkeit, Lebensumstände). Ethik kann nicht als Regelwerk dienen, das den immer wiederkehrenden Konflikt aufhebt, sondern ist als Lehre von Handel der Menschen zu verstehen und dazu gehört immer ein Handlungskontext.

Moderation Ratsch


In der anschließenden Diskussion, moderiert von Dr. Heidemarie Ratsch, wurde deutlich, dass viele Kolleginnen und Kollegen an der Erörterung von Einzelfällen interessiert sind. Die Frage, wann Euthanasie gerechtfertigt und zum Besten des Tieres sei, hätte man zu gern grundsätzlich geklärt. Eine Weiterführung der Thematik wurde allgemein begrüßt auch unter Erweiterung des Tierspektrums über Heimtiere hinaus und unter Hinzuziehung von Juristen. Es soll dann mehr Zeit für Diskussionen eingeplant werden.

H. Ratsch

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